Das ist die Rede, die Stefan Sauer, ein sehr guter Freund von Anna, am Tag der Abientlassung 2001 gehalten hat.

Einfach mal lesen...

(der Teil wo Stefan über Anna und Jan spricht, ist fett geschrieben, falls Ihr nur das lesen möchtet)

Sehr geehrte Anwesende, liebe Lehrer, Schüler, Eltern und Musiker.



Es wird sie sicher beruhigen zu hören, daß ich es meinen Vorrednern gleichtun, und mich möglichst kurz fassen will.

Liebe Anwesende, für uns Schüler, und auch für Sie, liebe Eltern, geht ein wichtiger und entscheidender Lebensabschnitt zuende. Was wird sich nicht alles ändern?! Wir Schüler werden herausgerissen aus dem behüteten Schulalltag. Da stehen wir, und von uns wird verlangt, daß wir unser Leben selbst in die Hand nehmen sollen... vorbei sind die Zeiten, in denen uns ganz klar gesagt wurde, was bis wann zu tun oder zu lernen war. Vorbei die Zeiten, in denen man bequem die Verantwortung für unsere Lebensplanung den Lehrern oder Eltern überlassen konnte. Ab jetzt sind WIR unseres Glückes Schmied. Ist das nun Segen oder
Fluch?

Wissen sie, als ich noch jünger war, so in der 7. Klasse, da war ich ganz fest davon überzeugt: Wenn ich mal so weit bin und Abitur mache, dann bin ich bestimmt schon so reif und so gut vorbereitet, daß ich mir keine Sorgen um meine Zukunft machen muss. Dieses Gefühl hielt sich noch, genährt von einem Hauch präpubertärer Selbstüberschätzung bis ca. Mitte der 10. Klasse. Und nun? Tja, nun hab ich das Abitur, aber irgendwie fühle ich mich gar nicht SO reif. Um ehrlich zu sein, je näher das Abitur rückte, desto mehr zerbrach ich mir den Kopf über die Frage: "Was dann?" Und diese Frage stelle ich mir jetzt grade, in dieser Sekunde immer noch...

Unsere Generation hat den großen Nachteil, oder ist es doch ein Vorteil, daß wir mit Angeboten und Möglichkeiten überschüttet werden. Wir habe vor einigen Jahren im Rahmen des Politik-Unterrichts das BIZ, das Berufsinformations - Zentrum, besucht. Und ob sie es glauben oder nicht, von der Hälfte der angebotenen Berufe habe ich noch nie etwas gehört. Heutzutage ist ja sogar das Zusammenstellen der Werbeblöcke im Fernsehen gemäß Einschaltquote und Zielgruppe ein eigener Beruf.

So viele Entscheidungen müssen getroffen werden, und wir sind der ganz festen Überzeugung, daß jede Entscheidung unser Leben maßgeblich beeinflussen wird. Ich zumindest habe zur Zeit die, vielleicht etwas paranoide, Befürchtung, daß ich mir mit jeder falschen Entscheidung mein Leben versauen kann. Und glauben sie mir, das setzt mich unter einen enormen Druck, denn es gibt eine Menge zu entscheiden, und das Risiko einer falschen, verheerenden Entscheiung wird somit immer größer. Bund oder Zivildienst, Ausziehen oder zuhause bleiben, Studium oder Ausbildung, FSJ oder FÖJ, Jura oder Forstwissenschaften, Uni Göttingen oder Hochschule Hannover, Auslandssemester oder nicht....all das sind Fragen die mir, und sicherlich allen meinen Mitschülern, im Kopf herumschwirren.

Was tut also der ambitionierte Abiturient? Er sammelt Informationen. Er kauft sich also massenweise Magazine mit Titeln wie "Abitur - und dann?" "Die 10 größten Hochschulen im Test" "Millionär mit 25!! - So gehts", besorgt sich sog. Uni - Rankings, hört sich im Bekanntenkreis um....es gibt unzählige Möglichkeiten. Aber alle führen scheinabr zu einem, ziemlich frustrierenden, ergebniss. Das deutsche Abitur scheint nicht mehr viel wert zu sein. Die Anzahl der Leute mit Abi nimmt zu, es scheint mittlerweile fast eine Grundvorraussetzung zu sein, um überhaupt einen Job zu bekommen. Wer wirklich was erreichen will muss sowieso erstmal auf eine private Hochschule, um dort dann ein Stipendium für eine große englische oder amerikanische Uni zu bekommen. Klar, nichts leichter als das!
Dazu kommt die verfahrenen Lage auf dem Arbeitsmarkt: Immernoch viele Arbeitslose, Tendenz sinkend, aber was heißt das schon.
Unsere Konkurrenz kommt heute nicht mehr nur aus Deutschland, nein, die Leute, die uns potentiell unseren Job streitig machen könnten sitzen auch in Indien, Japan, USA, China, Australien oder sonst wo auf der Welt. Zu allem Überfluss schneiden die deutschen Schüler im internationalen Vergleich ziemlich mager ab. Wenn ich also nichtmal in Deutschland zur Crème de la crème gehöre, wie soll ich da erst im Internationalen Wettkampf bestehen können. Warum sollte Microsoft MICH als neuen Chefprogrammierer einstellen, wenn in Korea und Indien doch viel qualifiziertere und zudem auch noch billigere Informatiker warten. Alles in allem sieht es also, will man den Statisken, Zukunftsforschern und Karriereberatern glauben, alles andere als rosig aus.
Für jemanden, der gerade sein Abitur geschafft hat, in Euphorie schwelgt und sich, gelinde gesagt, augenblicklich großartig und unbesiegbar fühlt eine ziemlich ernüchternde Nachricht. Was also tun? Zu erst einmal: Vergessen wir die ganzen Statistiken und blicken mal kurz auf die Realität, denn mir mißfällt der Gedanke, daß mein gesamtes Leben bereits mit einigen Zahlen vorrausbestimmt sein soll. Ich glaube, die erste und wichtigste Frage, die wir uns als frischgebackene Abiturienten stellen sollten ist: Was haben wir eigentlich gelernt??!

Ich weiß, es ist eine beliebte Angewohnheit, bei Abiturreden detailiert darauf hinzuweisen, was man alles NICHT gelernt hat! Ich muss sie enttäuschen, denn ich werde darauf heute verzichten, weil diesen Denkansatz für einen destruktiven halte. Natürlich ist es wichtig, auch seine Schwächen und Unzulänglichkeiten zu kennen, aber hier und heute ist es für uns wichtig uns unserer Qualitäten und Fähigkeiten bewusst zu werden. Schleißlich geht es darum, unsere Neigungen zu entdecken, uns zu orientieren. Und Sätze wie "Tja, also, ich kann keine Bewerbungen schreiben, meine Rechtschreibung lässt zu wünschen übrig und Sprachen sind gar nich mein Ding" hinterlassen in einem Bewerbungsgespräch sicherlich einen negativen Eindruck. Mein Hauptanliegen ist es heute also, einmal zu überlegen, was wir in diesen 13 Jahren Schulzeit alles gelernt haben. Mal ehrlich, haben Sie darüber schon mal ernsthaft nachgedacht? Es finden sich nämlich sehr,sehr viele Dinge, die auf den ersten Blick vielleicht banal erscheinen, im grunde genommen aber wichtige Fahigkeiten sind. Fragen wir uns also alle mal kurz was wir so gelernt haben.... *Pause* Gut. Also, wir können auf englisch und französisch ein Bier bestellen, können gleichzeitig das Volumen des Bierglases im 3dimensionalen Raum berechnen, wir können die chemische Erklärung liefern, warum im Bier so kleine Bläschen nach oben steigen, und unter bio-chemischen Gesichtspunkten erläutern, warum man nach übermäßigem Bierkonsum am nächsten Morgen Kopfschmerzen bekommt. Die Physik hat uns gelehrt zu berechnen, welche Energie wir aufbringen müssen, um den Bierkrug an die Lippen zu führen.
Wenn wir besonders fleißig waren können wir vielleicht sogar mit lateinischen Einwürfen wie "Alea jacta est" oder "cogito ergo sum" auf gesellschaftlichen Anlässen Eindruck schinden. Wir wissen, was die 48er Revolution war, kennen Mozart und Albrecht Dürer, sind mit den Prinzipien der Gesetzgebung vertraut und halten Mephisto nicht mehr für ein Dopingmittel. Aber ist das alles? Ist das alles was wir gelernt haben??Ich meine das verneinen zu müssen. Denn wir haben ja Abitur. Im deutschen übersetzen wir es meist mit dem Wort "Hochschulreife". Die Betonung liegt dabei auf "-Reife". Komischerweise sagen wir nicht "Hochschulwissensstand" oder "Hochschulbildung" sondern wir sprechen von HochschulREIFE! Das legt doch nahe, daß wir in unserer Schulzeit weit mehr als nur trockenes Wissen gelernt haben. Wir scheinen auch innnerlich gereift zu sein. Kann das stimmen?
Wir sind ja nicht nur in der Schule, um zu lernen. In der Schule treffen wir auch jeden Tag die selben Leute, Mitschüler und Lehrer. Einige davon mögen wir, andere nicht. Aber auch mit denen müssen wir zurechtkommen. Wir haben uns also über die Jahre hinweg die Fähigkeit angeeignet, Kompromisse einzugehen, bzw Strategien überlegt, um Konflikte zu vermeiden. Andererseits waren wir auch gezwungen, Möglichkeiten zu entwickeln, mit Konfliktsituationen, sind sie denn nun nicht zu vermeiden, umzugehen . Besonders gut läßt sich das an der Schüler - Lehrer Beziehung illustrieren. Jeder, und damit meine ich wirklich jeder, Schüler hat seinen ganz besonderen Lieblingslehrer (so wie wahrscheinlich jeder Lehrer auch seinen gant speziellen Lieblingsschülerfreund hat). Es läßt sich nicht vermeiden, man sucht sich seine Lehrer und Schüler nicht aus, aber diese beiden Todfeinde sitzen nun jeden Tag in einem Klassenraum. Der Schüler schimpft über den Lehrer, über dessen Erklärungen und ungerechte Benotung. Der Lehrer echauffiert sich über das ständige, und sicherlich auch ganz bewußt provokante Schwatzen des Schülers....ich glaube, Sie alle wissen was ich meine. Tja, wo ist nun der Lerneffekt? Der Schüler muss wohl oder übel einsehen, daß er am kürzeren Hebel sitzt und zusehen, wie er aus der Situation das beste machen kann. Der Lehrer muss mit der permanenten und zur Schau getragenen Feindseligkeit des Schülers umgehen lernen. Für beide also doch irgendwie eine lohnende Erfahrung. Ähnliche Situationen werden uns unser ganzes Leben lang begleiten, sie handhaben und einschätzen zu können ist Vorraussetzung für ein gesundes gesellschaftliches Leben. Seien wir froh drum, daß wir es von Kindesbeinen an gelernt haben.

Eine weitere, existenzielle Eigenschaft, die uns die Schule vermittelt hat ist ein gewisses Maß an Selbstdisziplin. Wie groß dieses "gewisse Maß" nun wirklich ist hängt sicherlich vom Einzelnen ab, aber ein kleines bischen ist wohl bei allen hängen geblieben. Ich halte es für müßig, auf die Bedeutung von Selbstdisziplin im Leben, sei es gesellschaftlich oder Beruflich, einzugehen. Es liegt auf der Hand, daß jemand, der seine Akten nicht im gegeben Zeitrahmen bearbeiten kann, Termine versäumt ect. im Berufsleben keine grossen Chance hat. Wir hingegen haben gelernt, auch mal unseren inneren Schweinehund zu überwinden. Das beginnt bei den Hausaufgaben, die in einem bestimmten Zeitraum erledigt werden müssen und führt bis hin zur Facharbeit, einem eigenständig erstellten Aufsatz nach strengen zeitlichen und formalen Richtlinien. Auch das Pauken von scheinbar total irrelevanten und nutzlosen Formeln, Vokabeln oder Geschichtsdaten erfordert eine unglaubliche Übewindung und damit ein hohes Maß an Selbstdisziplin.
Und wer sich doch nicht überwinden kann? Wer doch keine Hausaufgaben macht und auch keine Lust hat hohle Formeln zu pauken? Na, der hat zumindest eine Strategie gefunden, ohne Pauken und Hausaufgaben sein Ziel zu erreichen, sonst säße er heute nicht hier.
Ich bin sicherlich nicht der Einzige hier im Saal, der seine Facharbeit, für die ein Zeitrahmen von ca. 6 Wochen vorgesehen war, in den letzten 5 Tagen begonnen und beendet hat. Was sollst? Das zeugt vielleicht nicht grade von eiserner Disziplin, aber ich habe es irgendwie geschafft diese Arbeit fertigzustellen, und das ist doch was wert.

Ich habe auch schlimme Dinge in der Schule gelernt. Liebe Lehrer, ich kann Sie beruhigen, diesmal hat es nichts mit Ihnen zu tun. Nein, ich habe gelernt wie hart und ungerecht das Leben sein kann.
Sehen Sie, wenn ich hier den Abiturjahrgang so vor mir sitzen sehe, dann fehlt mir etwas. Mir fehlen zwei Gesichter. Zwei Gesichter, die hier eigentlich heute hätten sitzen und in wenigen Minuten ihr Abiturzeugniss entgegennehmen sollten. Ich spreche von Jan Hendrik Engelhard, der lange Zeit mein bester Freund und Weggefährte war, und Anna - Katharina Öyenhausen, mit der ich im Musik und Englisch Leistungskurs eine wirklich wunderbare und sehr witzige Zeit hatte. Jan starb vor 2 Jahren in Amerika bei einem Autounfall, wenige Tage bevor er nach Deutschland hätte zurück fliegen sollen. Anna starb dieses Jahr nach schwerer Krankheit und langem Kampf, kurz vor dem Abitur. Der gesamte Abiturjahrgang war beide Male schwer betroffen. Ich erinnere mich sehr gut an die total überfüllte Kapelle an Jans Beerdigung und an die Massen von Schülern und Lehrern die bei Annas Beerdigung stundenlang draußen vor der Kapelle in der Kälte ausharrten. Der Verlust nahestehender Menschen ist immer schwer und bitter, aber in einer Schule ist er ganz besonders brutal. Eine Schule ist auch eine Art Familie. Man kennt sich einfach, schließlich sind es 13 Jahre jeden Tag die selben Leute die man trifft. Die meisten Lehrer habe ich in meiner Schulzeit öfter gesehen als alle meine Tanten und Onkel zusammen. Deshalb ist auch der Verlust eines Schulkamerades fast genauso schmerzlich wie für eine Familie. Die Lücke die er hinterläßt läßt sich in der Schule nicht füllen, sie läßt sich nicht übersehen. Es sind Kleinigkeiten, die diese Wunden immer wieder aufreißen lassen: Da steht der Name noch in der Klassenliste, das Auto steht nicht wie gewohnt auf dem Parkplatz, geht es um Geldbeträge teilt man immernoch durch 20 Schüler, obwohl es nur noch 19 sind......
Wir haben damals versucht, die Sitzordnung zu ändern. Anna saß neben mir... und ich habe diesen Platz aus Gewohnheit immer frei gehalten, auch, als sie schon lange tot war. Erst als wir die Sitzordung geändert hatten, tat ich es nicht mehr....
Am FKG hat dieses Jahr ein Jan Engelhart Abitur gemacht....Es ist nicht unser Jan Engelhart, aber als ich das Abi T-Shirt des FKG sah und den Namen las... das war hart. Aber wir alle mussten lernen, damit umzugehen, und das war schwer, besonders in der ersten Zeit. Der Unterricht musste weitergehen, in den Pausen hörte man die jüngeren Schüler toben und kreischen, und man wollte ihnen an liebsten an die Gurgel springen und ihnen sagen, sie sollen doch gefälligst wenigstens ein bischen Betroffenheit zeigen. Aber nach und nach sind auch wir in den Alltag zurückgekehrt, was sollten wir auch anderes machen?
Aber wir haben gelernt. So makaber es auch klingen mag, ich glaube wir haben auch viel gelernt. Zum einen haben wir gelernt, was Verlust bedeutet, und wir, zumindest ICH habe gelernt, was mein Leben, das ich für so selbstverständlich nehme, wert ist, habe gelernt, daß es ruckzuck zu ende sein kann...ohne vorwarnung, einfach so. Es war eine bittere Lektion, aber ich glaube, wir alle sind daran auch gereift.
Zu allererst hatte ich überlegt, die Abirede nur diesen beiden Menschen, Anna und Jan zu widmen, denn ich war der Meinung, sie hätten es verdient und wir wären ihnen das schuldig...bei näherem Nachdenken allerdings hielt ich das nicht für eine gute Idee. Eine Abiturientenentlassung ist ein freudiger Anlass, und ich hatte Angst vor dem betretenen Schweigen nach der Rede. Andererseits wollte ich diese beiden Freunde unbedingt erwähnen und daran erinnern, daß sie heute auch hier gesessen hätten. Das habe ich getan. Nichtsdestotrotz mußte ich irgendwie die Kurve zurück zu meinen Ausführungen über die in der Schule erlernten Fahigkeiten bekommen. Trotz intensivem Nachdenken und einem halben Jahr Rhetorikunterricht bei Herrn Bolte gelingt mir das NICHT! Ich bin nicht in der Lage, einen halbwegs geschmeidigen Übergang zwischen diesen Traurigen Erinnerungen und dem relativ sachlichen Rest der Rede zu finden. Ich bitte Sie daher, diesen etwas brutalen Schnitt zu entschuldigen.


Die vielleicht wichtigste Fähigkeit überhaupt, die ich in der Schule gelernt habe, ist für mich das das systematische Analysieren. Die Fähigkeit ist für eine fundierte Meinungsbildung unerläßlich. Unser Leben lang werden wir Positionen beziehen müssen, werden wir Meinungen vertreten und durchsetzen. Das können wir aber nur, wenn wir:

1.) Überhaupt eine Meinung haben
Und
2.) wissen, WARUM wir diese Meinung haben

Und das ist nicht so einfach, wie es zu sein scheint.
Man muss sich nämlich ersteinmal mit der Sache beschäftigen. Über etwas, von dem ich gar nichts weiß, kann und sollte ich keine Meinung haben. Also müssen zuerst Informationen gesammelt werden. Diese werden Ausgewertet und es werden Pro- bzw. Contra Argumete entwickelt. Abschließend werden diese Argumente gegeneinander aufgewogen und in Folge dessen eine Postion bezogen.
Dieser Vorgang, so einfach und banal er auch klingen mag, ist keineswegs selbstverständlich, sondern muß mit viel Mühe und Übung erlernt werden.
Ich glaube, jeder Schüler versucht sich vor einer Klassenarbeit schemenhaft auszumalen, welche Fragen in der Arbeit gestellt werden könnten. Das ermöglicht eine effizientere Vorbereitung. Und es gab eine Frage in unserer Schullaufbahn, die uns geradezu verfolgte, auf die wir uns vor JEDER Klausur vorbereiten konnte, da sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gestellt wurde. Und diese Frage, es war meistens die letzte in der Arbeit, lautet etwa so:
Aufgabe 4b: Beziehen Sie Stellung zu Müller/Meyer/Schulzes Aussage und begründen Sie Ihre Position.

Diese Frage kam dran. Garantiert. Ob in Deutsch, Englisch, Geschichte, Politik, Religion....überall tauchte diese Frage auf. Und sie hat ihren Zweck erfüllt, denn wir mussten uns nun in jeder Klausur in die Köpfe von Müller/Meyer/Schulze hineindenken, mussten deren Argumentationsketten auseinanderpflücken und kritisch hinterfragen, mussten propagandistische Elemente als solche enttarnen und alle suggestiven Argumente entdecken und markieren.
Das führte bei mir so weit, daß ich hinter jedem mir vorliegenden Text eine geschickt verschleierte propagandistische Botschaft vermutete, die nur darauf wartete, von mir enttarnt und gebrantmarkt zu werden. Ich war übersensibilisiert, daß allerdings im positiven Sinne. Denn ich habe den Prozess der Meinungsbildung und -Beurteilung so oft und so exessiv üben müssen, daß sich die dazu erforderlichen Denkprozesse automatisiert haben. Alles was mir gesagt wird, alles was ich lese, sehe, höre hinterfrage ich zuallerst auf sein Richtigkeit. Und das ist eine Fähigkeit, und zwar eine Fähigkeit von unschätzbarem Wert, bringt sie doch eine Reihe von Nebeneffekten mit sich.

1.) Selbstsicherheit: Nur mit einer nach diesem Schema gebildeten Meinung habe ich die Möglichkeit, mir meiner Meinung sicher zu sein. Ich habe alleArgumente überdacht, habe sorgfältig zwischen Pro und Contra abgewägt und habe meine Entscheidung getroffen. Kein Argument der Gegenseite kann mich überraschen. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit und bietet ie Möglichkeit, meine Meinung nach aussen hin Selbstsicher und Glaubwürdig zu vertreten.

2.) Toleranz. Nur wer sich auch mit den Argumenten und Motiven der Gegenseite auseinandergesetzt hat, kann Toleranz zeigen. Toleranz ist wiederum ein Nebeneffekt der Selbstsicherheit. Wenn ich mir meiner Meinung sicher bin, muss ich mich nicht vor anderen Positionen fürchten und kann sie demnach problemlos tolerieren und sich sogar für neue Aspekte öffenen

3.) Diskussionsfähigkeit. Diskussionfähigkeit benötigt vor allem eine 100%ige Identifikation mit der eigenen Meinung um diese glaubwürdig zu vertreten. Damit sie nicht zu einem Dogma wird, gehört eine Portion Toleranz und Offenheit dazu...erst dann ist man diskussionsfähig.

4.) Verantwortungsbewusstsein: Erst wenn man sich eine eigene Meinung gebildet hat, und sie voll uns ganz verinnerlicht, baut man ein Gefühl der Verantwortung gegenüber dieser Meinung und ihrer Konsequenzen auf. Man selbst hat diese Meinung entwickelt, und man selbst muss, und will dann meistens auch dafür gerade stehen.


Alle diese Qualitäten eröffnen uns eine geistige Flexibilität.Wir müssen uns nicht an stumpfen und allgemeingeltenen Parolen orientieren, sondern besitzen die Fähigkeit, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und zu ihnen zu stehen. Und diese Eigenschaft, liebe Anwesende, ist etwas ganz besonderes und wir sollte sie zu schätzen wissen. Längst nicht alle in unserem Land besitzen diesen Bonus, und ich muss nicht die Meuten von hirnlos brüllenden Neonazis zur Illustration heranziehen.
Nein, auch in ganz anderen intellektuellen Schichten besteht dies bezüglich ein grpßes Manko.
Ich habe vor einigen Jahren einen Schulaustausch mit einer Koreanischen Schule gemacht, und durfte in dessen Rahmen im Unterricht der koreanischen Schüler hospitieren. Der Unterricht in Korea erfolgt nach einem vollkommen anderen Konzept: Man versucht den Schülern in der gegeben Zeit ein Maximum an Informationen in den Schädel zu pressen. Das hat folgenden Effekt: Die Schüler arbeiten Tag und Nacht, schlafen nur wenige Stunden und stehen unter einem fast inhumanen Druck. Die Suicidrate unter den Jugendlichen steigt in etwa so rapide wie unsere Spritpreise. Positiv anzumerken bleibt, daß diese Schüler einfach wahnsinnig viel wissen und uns diesbezüglich sicherlich einiges vorraus haben.
Mein Austauschschüler hat damals die ellenlange quadratische Gleichung, die mich mit Taschenrechner und Formelsammlung ca. 25 Minuten kostete, im Kopf ausgerechnet. Er schaute sich dieses mathematische Ungeheuer kurz an, legte seine Stirn in Falten, kniff die ohnehin schon kleinen Augen zusammen, und während er da so fröhlich seine Schüssel Reis löffelte wollte er mir dann klar machen, daß x= 3 7/16 sei. Ich hielt das für einen Scherz, lächelte freundlich, wie es sich für uns Asiaten so gehört und nickte verständnissvoll mit dem Kopf um ihm zu verdeutliche, daß ich die Pointe verstanden hatte...tja...die Pointe kam aber noch....er hatte nämlich recht. 3 Heftseiten und 25 Minuten später wußte ich, daß er da keinen Scherz gemacht hatte. Sie können mir glauben: Das war wirklich eindrucksvoll. Wie er das gemacht hätte, fragte ich ihn. Er antwortete mir in gebrochenem Englisch, skizzierte mir einige Formeln (die ich natürlich NICHT verstand) und machte mir klar, daß er so, und dann hier wegkürzen, und mal x(2x - 3y)-y usw..... auf das ergebniss gekommen wäre. Man könnte das leicht im Kopf rechnen.
Da wurde mir klar, daß er nur gelernt hatte, WIE er es rechnet, aber nicht WARUM er es so rechnet. Er konnte auch nicht nachvollziehen, warum wir in der Schule so viel kostbare Zeit "Vergeudeteten", nur um durch mathematische Beweise auf DIE Formel zu kommen, die doch sowieso schon im Buch steht. Wieso wir denn die Formeln nicht einfach auswendig lernten und benutzten??
Und hier ist der Punkt, in denen wir unseren Arbeitsmarktkonkurrenten aus Asien und auch der USA weit überlegen sind. Wir sind flexibel. Was macht mein Austauschschüler wenn sich in der Aufgabe auch nur eine winzige Kleinigkeit ändert? Wenn die gelernte Formel plötzlich nicht mehr passt? Er muss resignieren. Wir aber, die gelernt haben, WARUM diese Formel funktioniert und was sie bedeutet, sind Problemlos in der Lage uns der neuen Aufgabe anzupassen.
Diese Fähigkeit ist etwas besonderes, und wir sollten sie zu schätzen wissen. Ich habe noch kein Schulsystem erlebt, daß diese Fähigkeit so stark entwickelt und födert wie das unsere, so marode es manchmal auch scheinen mag...Dessen sollte wir uns im klaren sein.

Jetzt kommt der Teil der Rede, in dem von mir erwartet wird, auf die Mißstände in meiner Schulzeit hinzuweisen und über die Lehrer herzuziehen. Jetzt sollen Sätze fallen wie "Und wir haben nie gelernt, richtig Bewerbungen zu schreiben!!!". Nun, ich werde es etwas anders halten. Natürlich gab es Dinge in meiner Zeit als Schüler, die mich geärgert haben, Lehrer, mit denen ich nicht klar kam, die ich verarchtete, die mich auch nicht mochten. Aber es gibt 2 Gründe, die mich davon abhalten, darüber herzuziehen:

1.) Wenn man was zu bemängeln hat, dann sollte man es solange tun, wie man noch die Konsequenzen für seine Kritik zu tragen hat. Ich, als annerkannter Abiturient, der gleich sein Zeugnis in Empfang nehmen wird, bin nicht in dieser Situation. Flapsig formuliert: Mir kann keiner mehr was. Wenn ich jetzt anfinge, mir allen Frust von der Seele zu reden, wäre das nicht unehrenhaft sondern auch ziemlich feige

2.) bin ich nicht naiv genug zu glauben, daß auch nur einer der hier anwesenden Lehrkörper seine Unterrichtsmethodik, die er seit vielen Jahren so, und genau so, betreibt, über den Haufen werfen wird, nur weil ich hier vorne stehe und sage, daß es mir so nicht passt.

Es gibt allerdings einen Punkt, der mich in der stark gestört hat, und er ist sehr viel allgmeiner gehalten als die meisten Vorwürfe, die in Abireden so fallen.
Ich finde es sehr schade, daß für viele Lehrer ihre Verantwortung als Lehrkraft genau mit dem Pausenklingeln aufhört. Ich hatte oft den den Eindruck, die Lehrer kommen in den Klassenraum, ziehen ihren Stoff durch und gehen dann wieder. Mir fehlte ein bischen das Entgegenkommen der Lehrer den Schülern gegenüber. Ich habe lange Zeit in der Schülervertretung gearbeitet. Wir hatten alle 14 Tage eine Sitzung, vormittags, in der Schulzeit. Über die Ergebnisse der Sitzungen musste die Klasse informiert werden, sonst machen diese Sitzungen ja keine Sinn. Das waren also Summa Sumarum 2 Stunden Sitzung und danach 15 Minuten Berichterstattung in der Klasse. Ich kann mich nur allzugut an die Blicke mancher Lehrer erinnern, wenn ich sie darum bat, mir 15 Minuten ihrer Stunde zu geben, um die Klasse über das die letzten Beschlüsse der Schülervertretung zu informieren.
Ich habe auch lange Zeit im Schulchor gesungen und kenne den Kampf, den es auszufechten galt, um in der 5. und 6. Stunde an den Chorproben im Rahmen der Projektwoche teilzunehmen, obwohl das Kollegium schon Wochen vorher über diese Proben informiert wurde. Ich war auch Gesamtkonferenzvertreter und habe viele Konferenzbeschlüsse miterlebt, die in der Praxis einfach nicht eingehalten wurden. So steht jeder Klasse der Unterstufe eine Stunde pro Woche zur Verfügung. Diese Stunde heißt Verfügungsstunde und ist dazu gedacht, klasseninterne Geschäfte zu regeln: Klassenfahrten, Klassenkasse, Klassensprecherwahlen, Klassenfeste etc.... Wie oft habe ich es erlebt, daß diese Verfügungsstunde von den Lehrern als willkommener Ausgleich für die gestern entfallene Unterrichtsstunde genutzt wurde, und einfach ganz normaler Unterricht gemacht wurde. Und das in einer Stunde, die den Schüler zur Regelung Klasseninterner Dinge vorbehalten ist.
Das Sie es nicht falsch verstehen: Ich halte dieses Engagement für löblich, denn ich weiß, eine zusätzliche Unterrichtsstunde macht ein Lehrer sicher nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil er seinen Bildungsauftrag ernst nimmt! Aber gerade das ist es ja! Schule ist nunmal nicht NUR Unterrichtsstoff. Und selbst wenn keine Klassenfahrt ansteht kann man diese Stunde nutzen um Probleme in der Klasse zu besprechen. Und derer gibt es viele. Mobbing unter Schülern ist keine Seltenheit mehr, doch kommt es leider erst zur Sprache, wenn sich entrüstete Eltern bei der Schulleitung beschweren. Jede Klasse hat ihre Aussenseiter. Diese zu integrieren, mit der Klasse darüber zu reden kann auch Sinn und Zweck einer Verfügungsstunde sein. Probleme zwischen Lehrer und Schüler gibt es wie Sand am Meer. Konkret gehandelt wird immer erst, wenn die Eltern in Eigeninitiative einen Elternabend zwecks Aussprache ins Leben rufen.

Ich möchte Sie, liebe Lehrer, weder kritisieren, noch will ich Ihnen vorschreiben wie sie ihren Job zu machen haben. Ich möchte Ihnen nur Aspekte der Schule aufzeigen, die man vielleicht nur als Schüler sehen kann. Ich verstehe es eher als Anregung. Auch wenn sie Chor, Schülervertretung, Fußballverein, BackstreetBoys FanClub, BRAVO usw. für absolut nachrangig halten.... Ich war im Schulchor, ich war in der Schülervertretung, ich war im Fußballverein, ich habe Bravo gelesen und ich wage zu behaupten, daß ich bei diesen Aktivitäten manchmal mehr gelernt habe, als in der Schule... Darum bitte ich Sie, liebe Lehrer, auch manchmal, bei allem Ehrgeiz den Sie zeigen, bei den Lehrplänen, die im Nacken sitzen, zu bedenken, daß Schule auch mehr ist, als reine Stoffvermittlung.... Ich hoffe, ich konnte das hier heute etwas veranschaulichen....

Mit dieser Bitte möchte ich nun zum Ende kommen. Wir alle sind froh, unser erstes, großes Ziel erreicht zu haben und wir blicken voller Neugier und mit einem Hauch von Ehrfurcht auf das, was uns die Zukunft bringen wird.... der Grundstein ist gelegt.... ob daraus ein Gartenhäuschen oder eine Prachtvilla wird liegt allein an uns....und wenn mich nicht alles täuscht, dann sehe ich in den ersten beiden Reihen den ein oder anderen Bill Gates, Rolf Bossi, Nick Carter, Günther Grass oder vielleicht auch einen potentiellen Gerhard Schröder sitzen....

Vielen Dank